Stellungnahme der Stadt Bedburg zur V. Leitentscheidung
• Fraktionsübergreifende Position, gemeinsame Forderungen und erheblicher Klärungsbedarf
• Bürgermeister kritisiert mangelnde Weitsicht
Im Oktober 2022 haben sich Bund, Land und die bergbautreibende RWE AG auf einen vorzeitigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Rheinischen Revier bis zum Jahr 2030 geeinigt. Auf Basis dieser politischen Verständigung wurde auch eine Entscheidung zur weiteren Entwicklung des Tagebaus Garzweiler getroffen.
Am Mittwoch, dem 09.11.2022, hat der zuständige Landtagsausschuss den Start zur Aufstellung der Leitentscheidung gegeben. Diese wird durch das Wirtschaftsministerium des Landes NRW formuliert. Bereits während der Aufstellung soll es eine enge Verzahnung mit der parallel laufenden Erstellung des Braunkohlenplans (kurz: BKP) geben, so möchte man Zeitverluste vermeiden. Die V. Leitentscheidung wird sich auf das zentrale Thema der Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler beschränken, also auf den neuen Zuschnitt und den Erhalt des dritten Umsiedlungsabschnitts.
Das stark verkürzte Verfahren bedeutet für die Stadt Bedburg auch eine andere Vorgehensweise als bei der III. und IV. Leitentscheidung, in der die zeitliche Möglichkeit bestand, eine intensive Öffentlichkeitsbeteiligung vorzunehmen.
Vorberatung im Ausschuss – fraktionsübergreifende Abstimmung in der Ratssitzung am 9. Mai
Bürgermeister Sascha Solbach: „Mittlerweile ist es für mich komplett inakzeptabel, dass allen Ernstes einer Region, deren Aufgabe es ist, in kurzer Zeit einen neuen Arbeits- und Energiemarkt aufzubauen, mitgeteilt wird, dass 700 Hektar Land nicht rekultiviert werden, sondern in ein Magergras-Biotop umgewidmet werden sollen. Bei aller Liebe zur Natur, das ist absurd und konterkariert alle ernsten Bemühungen für einen nachhaltigen Strukturwandel. Eine für 40-60 Jahre ungeklärte Nutzung der Tagebau-Restlöcher ist in unserer jetzigen Situation schon maximal unbefriedigend, aber erklären sie das Versäumnis von Entscheidungen mal den nächsten Generationen. Mit dieser vom Rat verabschiedeten Stellungnahme wird jetzt die Position der Stadt Bedburg zur Leitentscheidung dokumentiert und an die Landesregierung übermittelt. Hierzu hatte ich alle Ratsfraktionen um Beiträge gebeten und ich bin sehr froh, dass die eingebrachten Ideen fraktionsübergreifend abgestimmt wurden und wir eine gemeinsame Linie haben.“
Eine erste inhaltliche Vorberatung hat in der Sitzung des Ausschusses für Klimaschutz, Digitalisierung, Wirtschaft und Strukturwandel am 23.02.2023 stattgefunden, die fraktionsübergreifende Abstimmung fand in der
Ratssitzung am 9. Mai statt.
Punkte zu klären
Aus Sicht der Stadt Bedburg bestehen im Rahmen der Leitentscheidung und der weiteren Prozesse der Braunkohlenplanung u.a. zu folgenden Punkten deutlicher Klärungs- und Nachbesserungsbedarf:
- Engere Einbeziehung des Nordreviers, schwerpunktmäßig aller Seeanrainerkommunen bei der Erarbeitung der neuen Leitentscheidung und dem Braunkohlenplanänderungsverfahren zur Sicherung eines zukunftstragenden Konzepts der Braunkohlenplanung, das die Bedürfnisse dieser Akteure berücksichtigt. Hierzu ist auch ein neuer Reviervertrag gemeinsam mit den Anrainerkommunen zu erarbeiten, der nicht nur Ziele formuliert sondern auch Verfahren, Maßnahmen und Lösungsansätze, um diese Ziele zu erreichen.
- Klärung der Fragestellungen bezüglich der Konsequenzen aus der räumlichen Verlagerung des künftigen Restsees und entsprechende Anpassung der Planung. Die Lage des zukünftigen Tagebaurestsees wird sich deutlich nach Osten in den Bereich von Garzweiler I und nach Osten in das Bedburger Stadtgebiet verschieben. Diese deutliche Veränderung der Rekultivierung birgt zwar Chancen, wie ein direkter Zugang zum See im Stadtgebiet, Entwicklungsperspektiven für Naherholung und Biotopvernetzung in einem „Grünen Band“ am Seeufer, aber eben auch Risiken, wie Verlust von Entwicklungsfläche, Verlust hochwertig rekultivierter landwirtschaftlicher Flächen, Unterhaltungsverpflichtung See- und Seeufer. Die Stadt Bedburg fordert einen geordneten Planungsprozess, bei dem nicht nur die Mitglieder des Zweckverbandes Landfolge Garzweiler ihre Belange einbringen, sondern eine umfängliche Beteiligung der Stadträte, Bürgerinnen und Bürger aller Seeanrainerkommunen.
- Aufgrund der Nicht-Inanspruchnahme des 3. Umsiedlungsabschnitts und der dadurch veränderten Lage des Restsees kann die BAB A61 nicht wiederhergestellt werden. Die zuletzt von einzelnen Akteuren geforderte leistungsfähige Ersatzstraße östlich des Sees ist zwar angedacht, aber aus Sicht der Stadt Bedburg weder sinnvoll noch wünschenswert. Darüber hinaus ist aus Sicht der Verwaltung eine leistungsfähige Ertüchtigung der bestehenden Autobahnknoten A44n/A46/A61 einschließlich eines verbesserten Immissionsschutzes unabdingbar, dessen Finanzierung aus den eingesparten Geldern des nicht realisierten Autobahnaus erfolgen sollte. Ebenfalls fordert die Stadt Bedburg den Bau der L277n (Ortsumgehung Kirch- und Grottenherten) aus den Mitteln für die Wiederherstellung der Regionalverbindungen L48 und L31. Ferner anstelle einer neuen Parallelstraße zur BAB A44n (L19n) die Erschließung des rekultivierten Gebietes sowie eine deutliche Beschleunigung der Planungen und Realisierungen der Projekte des ÖPNV und des SPNV im Kernrevier.
- Durch die angedachte Seebefüllung wird sich der Wasserspiegel rund 20-25 m unter der Geländekante im Bedburger Stadtgebiet einpegeln. Die Stadt Bedburg fordert für die östliche Uferkante einen Masterplan, der mit diesem „Un-Raum“ umgeht und die Wiederaufnahme einer Idee eines „Innovation Valley 2.0“, gemeinsam mit der Landgemeinde Titz und der Stadt Jüchen für ein interkommunales Zukunftsareal, angrenzend an die sogenannten „Flächen für den Strukturwandel“ im Bereich der Bandtrassen von RWE. Ferner fordert die Stadt Bedburg ein Stufenkonzept für die Gestaltung des Areals während des Befüllungszeitraums. Hier wäre an die Nutzung für erneuerbare Energien (Windpark im Tagebau plus Floating-PV oder aber Pumpspeicher-Kraftwerke) und für die Erzeugung und Speicherung von grünem Wasserstoff in neu anzulegenden Kavernen am Boden des Tagebaus zu denken.
- Ebenfalls fordert die Stadt Bedburg die vollumfängliche Einhaltung der Rekultivierungsverpflichtungen im Bereich des östlichen Restlochs. Das Auflassen eines Restloches im Sinne der so genannten „Arche“ ist keine Lösung. Die Stadt Bedburg erwartet hier alternative Szenarien, falls eine vollumfängliche Verfüllung technisch nicht mehr möglich sein sollte. Hier wäre zu denken an gestapelte und anschließend überdeckte gewerbliche Nutzungen.
- Energiespeicherung und die Nutzung von Geothermie. Die Stadt Bedburg fordert eine Erweiterung der isolierten „Wasserstoffstrategie“ des Tagebautreibenden um dezentrale Lösungen sowie Erweiterungen des Einsatzspektrums auf den Bereich Verkehr (insb. ÖPNV) sowie Quartierslösungen für Bestromung und Beheizung. Zudem ist ein Plan für den zuverlässigen Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit der energieintensiven Industrie im Revier zu entwickeln und zu diesem Zwecke Rahmenbedingungen für die Umnutzung von Braunkohle- und Gaskraftwerken und die dafür benötigte Wasserstoffinfrastruktur zu schaffen.
- Die Stadt Bedburg fordert seit langem die Etablierung einer Sonderplanungszone für die Anrainerkommunen: Die Planungszeiträume zur Entwicklung von Gewerbegebieten müssen deutlich verkürzt, der Zusatzbedarf an Flächen in den Anrainerkommunen anerkannt, Flächenpoollösungen ermöglicht und angebotsorientierte Flächenentwicklungen machbar werden. Ein wichtiges Instrument hierbei ist, kommunalen Grunderwerb und Flächenaufbereitung als eigenen Fördergegenstand einzuführen. Für die Stadt Bedburg ist der Erwerb von Flächen ein wichtiger Punkt zur Realisierung von Strukturwandelprojekten.